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Was bedeutet Manierismus?
Das Wort "Manierismus" bezeichnet eine künstlerische Ausdrucksweise, die beim Betrachter den Eindruck von Künstlichkeit, Affektiertheit entstehen läßt, eine Darstellungsweise in der Kunst also, die mit dem vorhandenen stilistischen Vokabular so effektvoll spielt, daß die Virtuosität des artistisch anmutenden Könnens die Aussagen, Themen und Inhalte in den Hintergrund drängen.
Im engeren Sinne wird mit Manierismus eine bestimmte Stilperiode zwischen Renaissance und Barock bezeichnet, nämlich in Italien die Zeit von 1515 bis 1600, in Frankreich und Deutschland die Zeit von 1550 bis 1610. Zentren des Manierismus waren das Rom der Päpste, das Florenz der Medici, das Venedig der Dogen. Zentren außerhalb Italiens waren München in Deutschland, Antwerpen und Haarlem in Holland, Fontainebleau bei Paris in Frankreich und das Prag Rudolf II.
Die Darstellungsweise des Manierismus auf den Punkt bringt der Begriff der "Figura Serpentinata", des gewundenen Körpers, der in übertriebener, gedrehter, graziler Haltung, in manchmal skurril anmutenden Posen und Situationen, mit langgezogenem "Schwanenhals" dargestellt wird. Berühmt ist aber auch das Gemüse-Bild Arcimboldos: der Künstler setzt das Herrscherportrait aus verschiedenen Feldfrüchten und Gemüse zusammen: die Nase - eine Gurke.
Nicht nur Komik, auch Dramatik kommt zum Tragen: so wird etwa das Zusammenspiel von Licht und Schatten von den Künstlern virtuos benutzt, um Effekte zu erzielen und beim Betrachter Gefühle zu erregen. Erstmals seit der Antike werden erotische Situtationen dargestellt.
"Sie fliehen das ruhige Sein, alles wird ihnen zum Ereignis, und jedes Ereignis zur Schaustellung." Werner Hofmann in einer Besprechung des Buches "Bella Maniera. Druckgraphik des Manierismus aus der Sammlung Georg Baselitz. Hrsg. von Werner Hofmann & Ger Luijten. Bern/Berlin 1994.
Jacques Bousquet verwendet in seinem Buch "Malerei des Manierismus" u.a. folgende Kapitelüberschriften: "Betonung der Linie - Kubismus - Deformation und Spiel mit der Perspektive - Schwarze Gründe - Gemalte Umrahmungen - atmosphärische Erscheinungen - Eleganz - Gebärden und Posen - Lebensgenuß - Schönheit des weiblichen Körpers - Abartiges - Melancholie - Spiel mit dem Entsetzen - Übertreibung des Häßlichen - Wißbegier - Höllenstädte"
Als Beginn des Manierismus gilt das "Jüngste Gericht" Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle (1536-1541). Ein zentrales und bekanntes Werk ist auch Parmigianinos "Madonna dal collo lungo" ("Madonna mit dem langen Hals"), das in den Uffizien in Florenz ausgestellt ist. Parmigianino, von Correggio beeinflußt, gilt als Mitbegründer des Manierismus: geschwungene, sich überschneidende Linien, kühler Farbton. Vielleicht kann man aber schon in der weltberühmten David-Statue des Michelangelo in Florenz die Anfänge des Manierismus erkennen: die Überproportionierung von Kopf und Händen widersprach dem antiken Stilideal.
Der Begriff "Manierismus" als Epochen- und Stilbegriff wurde erstmals im 16. Jahrhundert verwendet von Giorgio Vasari, einem Baumeister, der damit den Spätstil Michelangelo. Vasari selbst arbeite als Achitekt mit manieristischen Formen, stattete die Uffiizien mit einem überlangen Vorhof aus.
Gegen Ende des 19. Jahrhundert verwendete den Begriff erstmals wieder Jakob Burckhardt, seit 1920 gehört er zum festen Vokabular der Kunstwissenschaft. Bekannte Kunstwissenschaftler, die sich mit der Thematik beschäftigten sind Ernst Robert Curtius und Gustav René Hocke, die den Manierismus als Folgeerscheinung von Epochen der Klassik interpretierten. Nach Curtius gab es fünf manieristische Epochen herausgearbeitet: Alexandrien (etwa 350 bis 150 v. Chr., der "Hellenismus"), die "Silberne Latinität" in Rom (etwa 15 bis 140 n. Chr.), das späte Mittelalter, den Manierismus im engeren Sinne von 1520 bis 1650, die Romantik von 1800 bis 1830 und die frühe Moderne von 1880 bis 1950. Nach Curtius habe sich die Renaissance unbewußt auf die manieristische Perioden der Antike bezogen, diese Elemente aber verdrängt. Gustav René Hocke arbeitete u.a. den Einfluß der Manierismus auf den Surrealismus des 20. Jahrhunderts heraus.